Feministische Science-Fiction: Warum feministische Dystopien boomen?
Feministische Science-Fiction und Dystopien werden immer beliebter. Die Hulu-Serie „The Handmaid’s Tale – der Report der Magd“ ist dabei nur die Speerspitze einer literarischen Bewegung, die mit ihren Topoi auf die gegenwärtige politische und gesellschaftliche Lage reagiert. Doch warum sind es grade diese düsteren Zukunftsvisionen, in denen hauptsächlich Frauen von starker Unterdrückung betroffen sind, die derzeit vermehrt im literarischen und filmischen Massenmarkt auftauchen?
Konfrontation mit der Realität
Als die norwegische Autorin Gerd Brantenberg im Jahr 1977 ihren Roman „Die Töchter Egalias“ veröffentlichte, hätte niemand ahnen können, dass das Buch, in dem eine Gesellschaft präsentiert wird, in der Frauen nicht nur körperlich und sozial, sondern auch sprachlich die Norm angeben („Befrauschung“, „dam“ statt „man“), so begehrt sein wird, dass der Verlag ganze 15 Auflagen drucken ließ. Diese feministische Utopie entstand damals im Zuge einer lebhaften und kämpferischen Frauenbewegung, deren Erfolge es ihnen erlaubte sich mit den Gedanken einer von Frauen dominierten und beherrschten Gesellschaft zu beschäftigen.
Über 40 Jahre später ist die feministische Bewegung am ernüchtern. Immer noch ist die politische und gesellschaftliche Gegenwart von Geschlechterdiskriminierung und patriarchalen Vorstellungen geprägt. Immer noch sind Frauen in weiten Teilen der Welt direkter Repression ausgesetzt und werden durch die verschiedensten Mittel unterdrückt. Und als wenn es nicht schon schlimm genug sei, sich mit diesen allgegenwärtigen Altlasten herumzuschlagen, hielten die letzten Jahre geradezu erschütternde Backlashes bereit. Ein übergriffiger Sexist wird zum mächtigsten Mann der Welt gewählt, Abtreibungsgesetze werden verschärft, die Omnipräsenz sexualisierter Gewalt gegen Frauen wird sichtbar, und noch vieles mehr. Der Glücksrausch der feministischen Bewegung, den sie aus ihrer großen, kulturellen Schlagkraft der 60er bis 80er entwickelten, ist abgeebbt und es wird langsam klar: wir leben noch lange nicht in der Gleichberechtigung – im Gegenteil.
Wer den Uterus kontrolliert, kontrolliert die Welt
Dass sich dieser Paradigmenwechsel auch auf die kulturelle und künstlerische Industrie auswirkt, ist klar. Margaret Atwoods „The Handmaid’s Tale“ entstand zwar schon 1985, konnte aber mit seiner Verfilmung in eine Serie 2017 erst große Wellen schlagen. Das Buch und die Serie erzählen von einer postapokalyptischen Gesellschaft, in der eine christlich-fundamentalistische Diktatur eine Ordnung aufrechterhält, in der Frauen als reine Geburts- und Arbeitsmaschinen vollkommen entrechtet sind. Als Eigentum von Männern müssen die Frauen im Staat Gilead ihre Namen ablegen. Ihnen wird Besitz und Handel ebenso verwehrt, wie die grundlegenden zivilisatorischen Tätigkeiten Lesen und Schreiben. Sollte eine Frau das „Glück“ haben, nicht durch die atomare Katastrophe unfruchtbar geworden zu sein, darf sie über ihre Reproduktion nicht selbst entscheiden, sondern wird mit rituellen Vergewaltigungsakten zwangsweise geschwängert.
Anders, aber ähnlich erschreckend, entwirft Sarah Hall in „The Carhullan Army“ ihre Dystopie. In dem Roman beherrscht eine grausame, namenlose Autorität eine von Krieg zerfressene Welt, in der es außer Trostlosigkeit und harter, industrieller Arbeit nicht viel Inhalt gibt. Damit auch die Frauen ihre Arbeitskraft voll und ganz dem totalitären Staat hingeben können, werden ihnen unter Zwang Verhütungsmittel verabreicht. Es ist kein Zufall, dass in diesen feministischen Dystopien die Kontrolle über die Frau und den Frauenkörper oft einhergeht mit der Kontrolle über die Gebärmutter. Die feministische Theoretikerin Frigga Haug hat während ihrer langen Forschungskarriere immer wieder betont, dass selbst in der unseren, nicht-dystopischen Welt der Kapitalismus Herrschaft über Frauen ausübt, in dem er die hauptsächlich von ihnen ausgeübte Reproduktionsarbeit entwertet und der industriellen Produktionsarbeit unterordnet. In den Verhältnissen, in denen wir leben ist die Existenz von Frauen per se verbunden mit der Vorstellung, dass sie Kinder gebären und aufziehen. Ob man Frauen jetzt diese Fähigkeit entzieht oder sie komplett auf sie reduziert sind letztendlich zwei Seiten der gleichen Unterdrückungsmedaille.
Feministische Science-Fiction – die Utopie in der Dystopie
Doch nicht nur in der Literatur ist dies ein beliebtes Motiv. „Mad Max: Fury Road„, einem der erfolgreichsten Filme der letzten Jahre, wird von großen Teilen der Filmkritik als feministisches Werk gelesen. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass man auch hier den Topos der als Gebärmaschinen eingesetzten Frau wiederfindet. Die den Plot des Films antreibende Handlung besteht letztendlich daraus, dass die von Charlize Theron gespielte Imperator Furiosa fünf, für diesen Zweck gefangen gehaltene Frauen, aus den Fängen eines über eine postapokalyptische Stadt herrschenden Warlords befreien möchte. Furiosas Ziel ist es die Befreiten in die Sicherheit einer nur aus Frauen bestehenden Gemeinschaft zu bringen.
Das Widerständische in Form von in sich verschworenen Gemeinschaften, die gegen das patriarchale System arbeiten, ist neben der Geburten- und Reproduktionskontrolle ein weiterer elementarer Bestandteil feministischer Dystopien. In „The Handmaid’s Tale“ ist es die Organisation Mayday, die Frauen hilft zu entkommen. In „The Carhullan Army“ ist es die titelgebende Frauenarmee, die eine Zuflucht vor den Schrecken des totalitären Regimes bietet.
Für feministische Dystopien als Bewegungsliteratur sind diese Entwürfe wichtig, denn in ihnen verwirklicht sich erst der feministische Gedanke. Denn obwohl die Ernüchterung, ob des gegenwärtigen Zeitgeists groß ist, ist Feminismus natürlich immer noch eine Reformbewegung. Der Wille zu Verbesserung der Situation und der Widerstand gegen die realen und fiktiven Widrigkeiten ist bestimmend für diese Werke und muss es auch sein.
Fazit zum Boom der Feministische Science-Fiction
Zeitgeist ist auch das richtige Stichwort, um zu erklären, warum feministische, dystopische Entwürfe und feministische Science-Fiction derzeit so erfolgreich sind. Sie nähren sich aus einer gesellschaftlichen Entwicklung, in der feministische Themen immer mehr den öffentlichen Diskurs bestimmen. Ob durch #metoo oder die Diskussionen um §219a oder den Gender Pay Gap – Geschlechterdiskriminierung und Geschlechtergerechtigkeit sind schon lange keine Themen mehr, die nur eine abgeschottete, politische Bewegung beschäftigen. Die feministisch-dystopische Erzählung als Experiment und Warnung ist dabei nur eins der Ventile, in denen sich der um sich greifende Unmut gegen einen antifeministischen Backlash bemerkbar macht. Wer sich für feministische phantastisch-utopische Literatur interessiert, für den haben wir im Mittelteil der Seite ein paar interessante Bücher ausgewählt. Weiterhin gibt es beliebte Webseiten für feministische phantastisch-utopische Literatur, wie zum Beispiel www.feministische-sf.de, wo Science Fiction von Frauen wie Christa Reinig, Elisabeth von Arburg, Doris Lessing oder Ursula K. Le Guin zu lesen ist.